Führung
«Keine Einzelperson ersetzt ein gutes Team.»
Interview: Barbara Frantzen Roth, Markus Gubler
Inforo: Der französische Schriftsteller Albert Camus hat gesagt: «Alles, was ich über Moral und menschliche Verpflichtungen weiss, verdanke ich dem Fussball1». Teilen Sie diese Einschätzung?
Christoph Spycher: Ich würde sagen, man transportiert Werte und Erfahrungen
aus dem Alltagsleben in den Fussball und von dort wieder zurück. Das gilt besonders für den Profifussball. Hier geht es nicht darum, wer den besten Ball hat oder den besten Schuh trägt. Entscheidend ist vielmehr, welche Leistungskraft und welche Qualitäten die Spieler mitbringen. Eine Mannschaft muss gut zusammenspielen.
Seit Sie Sportchef sind, geht es für YB vorwärts. Was ist der Grund für diesen konstanten Erfolg?
Wir haben Werte geschaffen und jeden Tag danach gelebt. Damit haben wir erreicht, dass alle als Team zusammenarbeiten. Das gilt nicht nur für die Mannschaft, sondern für alle Mitarbeiter und für die Geschäftsleitung. Es braucht Leute, die nicht ihr Ego voranstellen, sondern die sich dem Erfolg von YB verschreiben. Es geht uns immer darum, die Spieler besser zu machen, Stärken zu kombinieren und zu analysieren, wie sich das Potenzial entwickeln kann.
Wie wirkt man dem «Satt-Sein» entgegen?
Aus dem Schweizer-Meister-Titel 2018 ist eine besondere Kraft entstanden; damit waren viele Emotionen und Träume verbunden.Der Glaube an den Sieg gab uns einen gewaltigen Energieschub. Darauf brachen wir einige Rekorde und spielten in der Champions League. Was sagt man dann? Was ist das nächste Ziel? Wir sind sehr ehrgeizig und manchmal extrem kritisch, das spüren die Spieler auch. Scherzhaft haben sie mir auch schon gesagt: «Jetzt kannst du aber mal zufrieden sein!» (lacht). Trotz aller Erfolge hatten wir auch schwierige Momente. In diesem aufgeheizten Metier ist es wichtig, eine gewisse Souveränität auszustrahlen und Ruhe zu bewahren. Unruhe kann viel Energie rauben. Ein hohes Qualitätsbewusstsein, Kontinuität und Ruhe sind wichtige Erfolgsfaktoren.
Nehmen wir an, Sie wären künftig für einen Verband tätig. Welche Erfahrungen würden Sie aus der Fussballwelt mitnehmen?
Dass keine Einzelperson ein gutes Team ersetzen kann. Die wichtigste Qualität einer Führungskraft ist denn auch der Mut, sich mit Leuten zu umgeben, die in gewissen Gebieten besser sind. Wir haben bei YB einen Cheftrainer, er ist ein besserer Trainer als ich es wäre. Dann haben wir einen Konditionstrainer, der die körperlichen Zusammenhänge besser kennt als ich. Ich betrachte sie als Partner und nicht als Konkurrenten, die meinen Status bedrohen. Das lässt sich auf das Verbandswesen übertragen: Es braucht Spezialisten – Experten auf ihrem Gebiet – die aber trotzdem das grosse Ganze im Blick haben. Ein zweiter Punkt, den ich aus dem Fussball mitnehmen würde: Man muss die Leute dafür gewinnen, den Weg gemeinsam zu gehen. Man muss eine Einheit schaffen.
Welches sind für Sie die zentralen Faktoren für eine erfolgreiche Kommunikation?
Da ist zum einen die Authentizität. Es ist wichtig, glaubwürdig zu sein und das zu leben, was man sagt. Man darf sich nicht verstellen. Zum anderen die Transparenz: Wir erklären unseren Spielern, was wir machen und warum. Das schafft Vertrauen.
Welche Regeln gelten bei YB für die Kommunikation gegen aussen?
Wir haben klare Kommunikationswege definiert. Unsere Kommunikationsabteilung nimmt hier eine zentrale Funktion wahr. Es ist wichtig, dass wir als Einheit auftreten. Ein Spieler muss nicht immer dasselbe sagen wie der Sportchef. Er darf emotionaler oder ungeschliffener sein. Aber seine Aussage sollte nicht komplett kontrovers sein. Manchmal nehmen wir junge Spieler bewusst auch etwas aus der Öffentlichkeit, damit sie sich wieder auf den Fussball konzentrieren können. Und nach einer heftigen Niederlage ist Leadership gefragt, es werden unangenehme Fragen gestellt. Dann sollte der Cheftrainer, der Sportchef oder einer der Führungsspieler mit den Medien sprechen.
Wie führen Sie Ihr Team?
Ich bin ein Teamplayer und versuche, die Leute mitzunehmen und für meine Ziele zu gewinnen. Ich verstecke mich nicht im Büro. Und ich fälle keine Entscheide, ohne mit den Beteiligten zu sprechen. Ich bin der festen Überzeugung, dass man als Team bessere Entscheide fällen kann. Die Menschen, die sich dem Projekt YB verschrieben haben, sollen sich wertgeschätzt fühlen und wissen, dass ihre Meinung gefragt ist.
Was sind die grössten Fehler, die man in der Führungsarbeit machen kann?
Einsame Entscheidungen treffen. Das führt nie zu den besten Resultaten. Es ist besser, den eigenen Horizont zu öffnen und andere Meinungen einzubeziehen. Ein weiterer Punkt, den es zu vermeiden gilt, ist mangelnde Kommunikation. Die nachrückende Generation hat ein grosses Informationsbedürfnis. Sie erwartet, dass Entscheide erklärt werden. Wir akzeptierten Entscheide früher fraglos. Das ist heute anders. Auch darf man Auskünfte aktiv einfordern, wenn das eigene Informationsbedürfnis nicht gedeckt ist.
Wie führen Sie schwierige Gespräche mit Spielern?
Der Spieler soll spüren, dass ich für ihn da bin und dass ich aufrichtig bin. Wenn ein Spieler drei Tore geschossen hat, erhält er viele Glückwünsche und wird in allen Medien gefeiert. Dann muss er das von mir nicht unbedingt auch noch hören. Wenn ein Spieler aber einen schwierigen Moment hat, haben wir den Anspruch, unsere Spieler nicht allein zu lassen. Das schafft Vertrauen und Glaubwürdigkeit.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was wäre das?
Dass wir unseren Erfolg mit allen Fans und mit der Bevölkerung in Bern feiern dürfen. Das war in den letzten zwei Jahren nicht möglich. Wenn ich an ein volles Stadion bei der Pokalübergabe denke, an einen Umzug durch die ganze Stadt Bern mit Tausenden von Menschen in den Gassen – das wäre unvergesslich und würde mich sehr freuen.
1Pitous, Abel Paul: Mon cher Albert. Ein Brief an Albert Camus. Arche Verlag, Zürich 2014, S. 84.
Christoph Spycher (43) ist seit 2016 Sportchef beim BSC Young Boys. Als Profifussballer spielte er für verschiedene Erstligisten in der Schweiz und in Deutschland und war Teil der Schweizer Fussballnationalmannschaft.