Führen

Wie man in Krisen kluge Entscheidungen trifft.

Text: Marco Tackenberg
Bild: iStock.com

 

Jetzt zeigt sich, wer Sie wirklich sind. Denn es sind nicht unsere Fähigkeiten, die uns als Menschen ausmachen, sondern was wir entscheiden und was wir tun. Dies kommt offen und scharf in der Krise zum Vorschein. Zwar ist es klug, sich vor einem wichtigen Entscheid von Sachverständigen aus verschiedenen Disziplinen beraten zu lassen. Aber letztlich kann Ihnen niemand die Entscheidung abnehmen: Sie müssen die Konsequenzen abwägen und einen guten Weg wählen. Dabei bewähren sich einige Grundsätze:

 

Hören Sie gut zu.

Der frühere FMH-Präsident Jürg Schlup besitzt die Fähigkeit, genau hinzuhören. Schlup ermuntert sein Gegenüber zur Wortäusserung, er fragt nach, wenn ihm ein Argument nicht einleuchtet. Auch mehrmals. Jedem Gesprächsteilnehmer und jeder Meinung am Tisch bringt er Aufmerksamkeit entgegen. So schafft er es immer wieder, auch bei anfänglich divergierenden Positionen letztlich einen guten Konsens für alle zu erreichen.
Das Zuhören bei Meinungen, welche eigene Überzeugungen in Frage stellen, lässt sich üben.
Wir alle sind versucht, Einsichten zu ignorieren, die uns nicht passen. Eine schlechte Eigenschaft, welche möglicherweise mit dem Alter zunimmt.

 

Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl – und auf Ihren Kopf.

Man sagt das so leichthin: Höre auf dein Bauchgefühl! Der Vorteil des Bauchgefühls liegt darin, schwer messbare Entscheidungskriterien als relevant zuzulassen. Was aber tun, wenn Kopf und Bauch nicht dasselbe wollen? Vor vielen Jahren auf diese Frage angesprochen, antwortete der Hirnforscher Norbert Herschkowitz: «Wann immer möglich lässt man sich mit der Entscheidung Zeit, bis Kopf und Bauch in dieselbe Richtung weisen.»

 

Hüten Sie sich vor der Informationsflut.

Monatlich werden derzeit mehrere tausend Studien zum Coronavirus publiziert. Social Media verbreiten eine ungeheuerliche Menge von Informationen und Meinungen. Sie müssen Ihren Medienkonsum strategisch angehen. Und dazu gehört: Gute Quellen verwenden und sich Limiten setzen.*

 

Lernen Sie, Ungewissheiten auszuhalten.

In Krisenzeiten ist die Ungewissheit gross. Wie lässt sie sich aushalten? Psychologen empfehlen, die Akzeptanz von Unsicherheit und von Risiken im Alltag zu trainieren. Ein Management kann dies mit einer «Risikoübung» tun. Die aktuelle Coronapandemie ist eine einzige grosse Übung, Unsicherheit auszuhalten und Neues zu wagen. Dazu der deutsche Philosoph Jürgen Habermas: «So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen, gab es noch nie.» Und ja: Erst unsere gemeinsamen Erfahrungen werden zeigen, was richtig und was falsch war.

 

Akzeptieren Sie kollidierende Werte.

Für den politischen Philosophen Isaiah Berlin gab es universelle Werte, die für alle Menschen Bedeutung haben. Dazu gehören Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, aber auch Mitleid. Berlin argumentiert, dass es nicht möglich ist, diese Werte in einem System hierarchisch zu ordnen. Müssen wir über etwas entscheiden, so gewichten wir zwangsläufig den einen Wert höher als den anderen. «Wir sind dazu verdammt, zu wählen, und jede Wahl mag einen irreparablen Verlust mit sich bringen», schrieb Berlin 1988 im Jahr seines Todes. Der Konflikt zwischen Werten ist Teil unseres Lebens. In der Pandemie verschärfen sich die Konflikte durch die globale Lage, die alle  gleichermassen betrifft.

 

Zu guter Letzt.

Entscheiden Sie. Die grösste Versuchung und der schlimmste Feind ist die Unentschlossenheit.

 

*Die Redaktion von inforo 2020 bedankt sich an dieser Stelle bei den von ihr präferierten Quellen: Die Virologin Sandra Ciesek und der Wissenschaftsjournalist Ulrich Schnabel in der deutschen Wochenzeitung Die Zeit; die Pulitzerpreisträgerin Ann Marie Lipinski, der Psychiater und Publizist Rudolf Conne sowie der Literaturwissenschafter Manfred Schneider in der Neuen Zürcher Zeitung. Weiter fanden wir zahlreiche Anregungen in der Kolumne «Bartleby» im Wirtschaftsteil des britischen Economist.

 

«Die aktuelle
Coronapandemie ist
eine einzige grosse
Übung, Unsicherheit
auszuhalten und
Neues zu wagen.»