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Sehen und gesehen werden in der digitalen Welt

Der Ruf digitaler Analyse- und Trackingtools wie Google Analytics ist nicht der beste. Politikerinnen und Politiker beeinflussen damit ihre Wähler, persönliche Daten werden auf Servern in der ganzen Welt verteilt. Doch mit Ablehnung allein wird man diesen neuen Werkzeugen nicht gerecht. Sie sind kaum mehr aus der modernen Kommunikation wegzudenken.

Text: Nicole Weber

 

Skandale um manipulierte Wahlen durch Cambridge Analytics oder «Dark Ads» auf Facebook zeigen, wie machtvoll die Analyse von Nutzungsdaten im Internet geworden ist – und wie gefährlich sie sein kann. Die Privatsphäre schrumpft; Pessimisten sehen die freie Meinungsbildung am Abgrund. Dagegen verheissen Optimisten Grossartiges: Womöglich können selbstlernende Big-Data-Analyseprogramme bald Epidemien oder Terroranschläge vorhersagen. Oder Gehirnerkrankungen mittels der Auswertung von Fingerbewegungen auf dem Handy erkennen, bevor die Betroffenen selbst ihre Symptome wahrnehmen.

Auch die Kommunikation im Netz ist Austragungsort solcher Kontroversen. Messenger-Dienste werten Daten in grossen Mengen aus und erlangen privateste Einblicke, Algorithmen fesseln uns mit Katzen, Sex oder lustigen Unfällen stundenlang vor den Social-Media-Feed. Dennoch möchten wohl die wenigsten diese Tools missen, war es doch noch nie so einfach, an Informationen zu gelangen oder mit den Liebsten in Kontakt zu bleiben.

Was bedeuten diese Entwicklungen für die Kommunikation von Verbänden? Längst ist die Website auch hier zum Zentrum und Ausgangspunkt der Kontaktaufnahme mit der Aussenwelt geworden. Von hier aus spinnen wir via Newsletter, Social Media und Verlinkungen Fäden in alle Richtungen. Gute Inhalte zu erstellen, ist dabei nur der Anfang. Genauso wichtig ist, dass die Inhalte gefunden werden. Wenn eine Website bei Google auf der ersten Seite erscheint, gelangen genau die Nutzer zu uns, die sich für unsere Themen interessieren. Und wir finden dank Google Analytics heraus, welche der Themen, die wir ins Netz stellen, besonders interessant sind.

Digitale Trackingtools wie Google Analytics machen nachvollziehbar, wer sich aus welchen Gründen mit einer Website, einer Stellenplattform, einem Thema beschäftigt hat. Und wie erfolgreich ein Auftritt wirklich ist: Das Tool misst, wie lange sich die User an welchen Stellen einer Website aufhalten, wo sie am häufigsten klicken, wo sie das Interesse verlieren und die Seite verlassen. Was in Social Media geteilt wird, woher die Nutzer kommen, wohin sie im Netz weiterziehen. Trackingtools können all diese Informationen mit Google-Suchanfragen verknüpfen – und mit persönlichen Daten. Kein Wunder, dass Datenschützer kritisch sind. In Europa gibt es viele Einschränkungen. Seiten müssen inzwischen die Einwilligung ihrer Nutzer einholen, wenn sie entsprechende Daten speichern wollen. Bisher blieben die Massnahmen zahnlos. Aber Hand aufs Herz: Kann man es sich als Verband leisten, auf Trackingtools zu verzichten?

Trackingtools werden von rund 80 Prozent aller deutschsprachigen Websites genutzt. Mit gutem Grund. Wenn wir ein gedrucktes Magazin an unzählige Adressen verschicken, nehmen wir an, dass es dank schöner Gestaltung und interessanter Themen breit wahrgenommen wird. Wenn wir es aber online stellen, für Suchmaschinen optimieren und später die Klicks auswerten, dann wissen wir es! Bei aller gebotenen Vorsicht: Durch den Einsatz solcher Tools können wir besser zu unseren Nutzern durchdringen. Und vielleicht sogar den positiven Beitrag leisten, dass sie im Netz nicht nur mit «Fake News» und Verschwörungstheorien konfrontiert werden – sondern auch mit genau den Themen, die sie wirklich interessieren.