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Kontrolle verlieren, Glaubwürdigkeit gewinnen

Mittlerweile sind neun von zehn Schweizer Verbänden und Non-Profit-Organisationen in den sozialen Netzwerken aktiv. Doch noch längst nicht alle setzen Social Media strategisch ein. Warum Facebook, Twitter und Co. für die Verbandskommunikation Chance und Herausforderung zugleich sind.

 

Herbst 2012. Passanten im Hauptbahnhof Zürich staunten nicht schlecht, als über ihren Köpfen metergrosse Haie kreisten. Die ferngesteuerten Ballone waren Teil einer kantonalen Abstimmungskampagne, welche die Schweiz so noch nicht kannte. Der Zürcher Mieterverband lancierte die Initiative «Für mehr Mieterschutz». Er wollte erreichen, dass Hausbesitzer und Liegenschaftsverwaltungen neuen Mietern bekanntgeben müssen, wie viel ihre Vorgänger bezahlten. Das Geld für den Abstimmungskampf war knapp. Deshalb griff der Mieterverband zu aussergewöhnlichen Mitteln. Er lancierte die schweizweit erste Spendenaktion über Social Media: «Mieter-Schwarm verjagt den Immo-Hai». Die Idee dahinter: Der Mieterverband forderte über Facebook und Twitter Mitglieder und Fans zum Geldsammeln auf. Dafür schuf er die Crowdfunding-Plattform beiss-den-hai.ch, wo sich private Geldgeber mit kleinen Beträgen am Kauf von Werbeflächen beteiligen konnten. Die Kampagne verlief äusserst erfolgreich: 8 000 Besucher auf der Plattform, 4 000 neue Facebook-Fans und 25 000 Franken Spendeneinnahmen.

Neun von zehn Schweizer Verbänden und Non-Profit-Organisationen sind heute auf Social Media präsent. Auch sie sind mittlerweile vom Potenzial der sozialen Netzwerke überzeugt. Kein anderes Medium wirkt so glaubwürdig und authentisch und schafft in diesem Masse Verbundenheit und Vertrauen bei Anspruchsgruppen wie Facebook, Twitter und Co. Verbände kommunizieren dank Social Media nicht nur schneller, sondern signalisieren auch Dialogbereitschaft und Willen zur Transparenz. Social Media fördern und fordern Kommunikation in Echtzeit. Doch gerade damit tun sich etliche Verbände noch schwer. Dies zeigt sich auch daran, dass erst rund die Hälfte eine Social-Media-Strategie für die Gesamtorganisation festgeschrieben hat.* Dabei wäre dies ein empfehlenswerter Schritt: Verbände sollten sich bewusst sein, wie sie die sozialen Netzwerke in ihre bisherige Kommunikation integrieren und – vor allem – welchen Grad an Interaktivität sie zulassen wollen. Sieht sich der Verband in der Rolle des Informationslieferanten, ermutigt er Dialog oder wünscht er gar Interaktion? Will der Verband Letzteres, muss er die unmittelbaren Möglichkeiten zur Partizipation von Social Media mit den mehrstufigen, mitunter langwierigen Entscheidungsstrukturen des Verbandes in Einklang bringen.

Man muss sich im Klaren sein: Social Media bedeuten immer auch Kontrollverlust – über die Art und die Richtung der Kommunikation. Und sie verlangen ferner nach inhaltlichem Mehrwert. Relevanz und Exklusivität der Informationen sind das A und O. Dafür müssen Verbände finanzielle und personelle Ressourcen bereitstellen. All den strategischen Überlegungen zum Trotz: Der Erfolg auf Social Media stellt sich in der Regel nicht unmittelbar ein. Es braucht eine gewisse Zeit, bis die Zahlen von Fans, Followern und Likes ansteigen. Hier können temporäre Kampagnen und Aktionen, wie die des Zürcher Mieterverbandes, helfen.

Diese Kampagne war erfolgreich, weil sie klare Ziele verfolgte und eine fesselnde Dramaturgie hatte: Kleine Fische verjagen den grossen Hai. Damit schufen die Verantwortlichen ein Wir-Gefühl, das Verbandsmitglieder, Freunde, Bekannte und Stimmberechtigte gleichermassen zum Mitmachen animierte. Geschickt verstärkt durch medienwirksame Strassenaktionen. Aus dieser zusätzlichen Publizität entwickelte sich eine positive Dynamik, die sich bis zum Urnengang hinzog. Über 52 % der Stimmenden sprachen sich für transparente Mieten aus – gegen den Willen des Zürcher Kantonsrates. Dieser hatte die kantonale Volksinitiative zur Ablehnung empfohlen.

* Social Media in Organisationen. Bernet ZHAW Studie Social Media Schweiz 2016, #SocialMediaCH16